Suche | DE PL | Kontakt
vom 12.01.2023

Men in black - oder die Theorie, wie Jungs in schwarzen Hemden das Herz von Frau Korman erweichen. Projekt „Berlin-Warschau-Express“

Augustum-Annen-Gymnasium

Sejm der Republik Polen

Tag eins: Die Sintflut
Am schönen Samstagmorgen des achten Oktobers traf sich die Klasse 10B auf dem menschenleeren Görlitzer Bahnhof, um ihre schweren Koffer in den Zug nach Berlin zu laden. Frau Korman und Frau Lach wurden zum ersten (und nicht zum letzten) Mal auf die Probe gestellt, indem sie gezwungen wurden, sich in einen Maskendispatcher zu verwandeln, da es schwierig war, die so genannte "Vorbildlichkeit" bei einer Gruppe verschlafener 16-Jähriger zu finden, mit der die beiden Lehrerinnen während der gesamten Reise gerechnet hatten. Die Tour verlief gut, wobei alle Koffer von unserem Klassen-Schwarzenegger - Daniel - unbeschadet auf die Gepäckablagen gehieft wurden, so dass diese niemandem vor dem ersten Umsteigen auf den Kopf fielen.
Als wir schließlich im Meininger Hotel in Berlin ankamen, erwartete uns die erste verblüffende Überraschung - ein Kicker-Tisch in der Lobby im zweiten Stock. Wir erlebten einen großen Schock, als unsere Lehrerinnen ankündigten, dass wir an diesem sonnigen Tag nicht nur die Möglichkeit haben sollten, tolle und spannende Spiele zu spielen (nur fünfzig Cent für neun Bälle), sondern auch noch etwas anderes für uns geplant war.
Schließlich war es Zeit für die erste Attraktion - die Gedenkstätte Berliner Mauer, an der Berlin die Tradition der "Taufe der Kolonien" so ernst nahm, dass unsere gesamte Gruppe vom Regen durchnässt wurde und der Wind, der unsere nasse Kleidung trocknen wollte, uns so sehr auskühlte, dass alle Fragen, die wir der Reiseleiterin stellen wollten und auf die Frau Agnes so sehnsüchtig wartete, aus unseren Köpfen geweht wurden. Doch die Sintflut und der Hunger konnten die 10B nicht von den bevorstehenden Projekttagen abhalten.
 
 
Tag 2: "Calvin Klein"-Modelle
Das Frühstück im Meininger Hotel wurde schnell zu unserer liebsten Tageszeit, zu unserer Lieblingsmahlzeit und zum Mittelpunkt der restlichen Reise, als wir am Sonntagmorgen um acht Uhr, statt in die Kantine zu gehen, wie uneingeladen einen regelrechten Mode-Laufsteg betraten. Hübsche schwedische Mädchen, deren Make-up und perfektes Haar keine Anzeichen für einen erholsamen Schlaf erkennen ließen, und ihre nicht minder hässlichen Kollegen, deren Schuhe allein mehr kosteten als der gesamte Inhalt meines Koffers. Die Mädchen und ich umkreisten das Buffet und hielten Ausschau nach jemandem..., ich meine, nach etwas Leckerem, und ein paar Minuten, nachdem alle Teller geleert worden waren, schauten wir uns heimlich im Speiseraum um, genossen die schöne Aussicht und lachten über die Jungen aus unserer Klasse, die die Diskretion beim Spähen und ihre eigenen Teller längst vergessen hatten.
Angeregt und verblüfft von der Schönheit unserer skandinavischen Altersgenossen, gingen wir zum Bundestag. Die Tatsache, dass sich unsere Jungs zum ersten Mal in etwas anderem als einer Jogginghose präsentierten, wurde auf zahlreichen Fotos bei zahlreichen Fotoshootings festgehalten, die natürlich mit mehreren Handys gemacht wurden, um das Ereignis für die Nachwelt zu bewahren.
Sie sahen in ihren weißen Hemden so gut aus, dass vermutlich die begeisterte Schar weiblicher Fans, die auf ein Autogramm warteten, sie daran gehindert haben muss, die U-Bahn rechtzeitig zu erreichen, sodass sie eine Viertelstunde zu spät zum ausgemachten Treffpunkt vor dem Spionage-Museum kamen. Unsere Klassenlehrerin, empört über die Unpünktlichkeit des männlichen Teils ihrer Klasse, schien ebenso verärgert darüber zu sein, dass die Verkäuferin ihr das falsche T-Shirt für ihren Sohn eingepackt hatte, dessen großer Traum es war, einen Aufdruck des Berliner Ampelmännchens auf der Brust zu tragen.
 
Tag 3: Politiker und Kindergärtnerinnen
Am dritten Tag war die große Prüfung für unsere Klasse: Der Kampf um Maks, der um ein Haar von zwei Konsuln und der Pressesprecherin in die polnische Botschaft verschleppt wurde, da diese von Maks' professioneller Vorbereitung und seinen sachdienlichen Fragen verzaubert waren. Auch die anderen Jungen schienen ihre Berufung gefunden zu haben und saßen in der Straßenbahn inmitten einer Gruppe von Kindergartenkindern. Obwohl sie vom Aussehen und der Größe her als Bodyguard hätten durchgehen können, kamen unsere Jungs und die Kinder, wie unsere Lehrerinnen und ich feststellten, schnell auf einen gemeinsamen Nenner. Wie üblich stritten wir uns über die Fahrkarten, bevor jeder seinen eigenen Weg ging, wobei wir das ewige Problem hatten, uns in Gruppen zu fünf Personen mit den gleichen Interessen aufzuteilen. Am Ende machte sich jeder, ausgestattet mit einer neuen Maske von unserer Maskenausgabestelle, mit seinen Fünf auf den Weg in eine ausgewählte Ecke Berlins.
 
Tag 4: Eine Fahrt ohne Halt - die polnische Realität
Schließlich war der Tag der Abreise aus Deutschland und die letzte Chance, sich zwischen dem Gepäck unserer skandinavischen Mitbewohner zu verstecken und sich für die Auswanderung nach Schweden zu entscheiden.  
Bepackt machten wir uns auf den Weg zum Polnischen Institut, aus dem Maks die Hälfte der aus der Bibliothek ausrangierten Bücher mitschleppte, um unserer Klasse eine zusätzliche Lösung für mögliche Langeweile während der langen Expressreise von Berlin nach Warschau zu bieten.
Der erste Vorfall in Polen bestand darin, dass das Hab und Gut einer älteren Dame, die wir zufällig trafen, auf die Gleise fiel. Frau Lach machte sich schnell daran, die zahlreichen Freiwilligen davon abzuhalten, der Wasserflasche und dem Buch der Frau hinterher zu springen, die über den sentimentalen Wert ihres zweiten Frühstücks klagte. Nun, wir können nur froh sein, dass sie selbst nicht in seine Fußstapfen getreten ist.
An den Charme der polnischen öffentlichen Verkehrsmittel nicht gewöhnt, stiegen wir ziemlich verprellt aus dem Bus aus, direkt vor dem "Ibis"-Hotel, oder besser gesagt dem "Ibis Budget", das Luxus wie eine in die Wand eingelassene Dusche direkt neben dem Bett bot, sowie eine Vielzahl von herumhängenden Spiegeln, sodass es unmöglich war, seinen duschenden Mitbewohner nicht auszuspionieren. Als ich am Abend das Fenster öffnen wollte, stieß ich auf ein Schloss, das nur einen Spalt von zwei Zentimetern zuließ. Auf dem daneben sichtbaren Aufkleber stand zwar, dass die Beschränkung uns vor ungebetenen Gästen schützen sollte, aber jeder wusste, dass eher unerwünschte Ausreißer gemeint waren.
 
 
Tag 5: Die Magie des Reise-Bügeleisens
Nach einem schmerzhaften Weckruf marschierten wir aus dem luxuriösen ,,Ibis Budget" in Richtung Bushaltestelle. Wir ahnten nicht, dass Frau Korman es fertig gebracht hätte, sich mitten auf die Straße zu legen, um den Fahrer auf unsere Gruppe aufmerksam zu machen und so allen ein Beispiel dafür zu geben, dass es sich lohnt, sein Leben zu riskieren, um nicht zu spät zu kommen.
Wir besuchten eine Vorlesung am Institut für Angewandte Linguistik, die so gut verlief, dass ich ausnahmsweise keinen Kommentar abgeben muss. Von dort aus liefen wir zur Altstadt, wo gerade ein Wettbewerb von Weltrang begann, der von Tausenden aufgeregter Asiaten verfolgt wurde, die unsere Aktionen über versteckte Kameras beobachteten, wie uns der Organisator des Stadtspiels versicherte. Eine weitere Welle von Hunger und Kälte raubte uns jeglichen Enthusiasmus, und so lagen wir unter der Statue von Sigismund III. Wasa wie todgeweihte Figuren auf Renaissance-Gemälden und hörten uns zahlreiche Kommentare über unser verwerfliches Verhalten und unseren Mangel an Engagement an.
Mit einer etwas besseren Einstellung nach dem späteren Besuch des Goethe-Instituts kehrten wir in unsere Zimmer zurück, wo die gesamte nächste Stunde den intensiven Vorbereitungen für den Theaterbesuch gewidmet werden sollte. Zimmer 336 wurde zu einer provisorischen Bügelstation für die Hemden und Hosen, auf die die ungeduldigen und nicht unbedingt vollständig angezogenen Jungen warteten.  
Aber ich mache keinen Hehl daraus, dass ich meine freie Zeit lieber damit verbringe, an meinem Äußeren zu arbeiten und einen alten Pullover auszuziehen, als einen Haufen nicht unbedingt frisch gewaschener Kleidung von ziemlich fitten, fast erwachsenen Jungs zu bügeln. Meine Bemühungen waren jedoch die Reaktion der verzauberten Lehrerinnen wert, die die festlichen Outfits der Jungs als Highlight des ganzen Abends betrachteten.
„Kasta la Vista" ist ein Theaterstück, das uns zu vielen widersprüchlichen Reaktionen veranlasst hat, vor allem zum Lachen und zu vor Überraschung weit aufgerissenen Augen. Was in Warschau passierte, bleibt jedoch in Warschau; allen anderen gestatte ich nur, sich ihren Teil zu denken oder die stark verkürzten und zensierten Fakten zu erfahren.
Nachdem wir den Saal nach der Vorstellung verlassen hatten, mussten wir nur noch ein paar Einkäufe für die Rückreise erledigen, was zwei Männer vor dem Geschäft mitbekamen. Ihre Aufgabe bestand darin, Passanten zu bezirzen, um ihnen Kleingeld für ihre Bedürfnisse zu entlocken. Als einer von ihnen gerade ein Kartenlesegerät aus seinem Gürtel nehmen wollte, da er gehört hatte, dass wir nur Kreditkarten hatten, unterbrachen unsere Lehrerinnen diesen sehr interessanten Wortwechsel. Zum Glück für alle beschloss Frau Korman, außerordentlich gnädig zu sein und beide Männer ohne Tadel und sogar mit einer Beförderung in die nächste Klasse zu entlassen.
 
 
Tag 6: Das heißt, Tag zwei des Shirt-Talks
Als die meisten jungen Warschauer gerade auf dem Weg in die Schule waren, passierte die Klasse 10B ein Tor in dem Zaun, der den Sejm der Republik Polen vor unerwünschten Besuchern schützt. Nach einer sehr informativen Führung, bei der wir den großen Sitzungssaal sahen und dem Guide eine Reihe kniffliger Fragen stellten, traten wir auf den Korridor hinaus, auf dem gerade der polnische Bildungsminister, bei dessen Anblick eine unserer Lehrerinnen - diplomatisch ausgedrückt - offenbar gemischte Gefühle hatte, aus einer Gruppe von Journalisten hervortrat.
Nach einem Besuch in der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland aßen wir gemeinsam im traditionellen polnischen Restaurant "Zapiecek" zu Mittag, wo eine ruhige Debatte (nur für Insider) darüber geführt wurde, wie man die Jungs dazu bringen könnte, öfter in Hemden zu erscheinen. Als unsere Speisen schließlich serviert wurden, begannen wir gemeinsam, die Piroggen auszutauschen, denn niemand konnte den Gedanken ertragen, die Gelegenheit verpasst zu haben, bis zu drei verschiedene Sorten zu probieren. Nach dem Mittagessen brachte uns der Bus zur letzten großen Attraktion der gesamten Reise - dem Besuch des ,,Kopernikus"-Wissenschaftszentrums, den alle mit einem Lächeln im Gesicht beendeten und sich auf die kommenden freien Stunden freuten, in denen wir uns endlich von der 24-Stunden-Betreuung erholen konnten.
 
 
Tag 7: Alle guten Dinge haben ein schnelles Ende
Fast wäre ich nicht aus dem Bett aufgestanden, hätte den Zorn von Frau Korman auf mich gezogen und den Rest meines Lebens in einem Zimmer mit einer in die Wand eingebauten Dusche verbracht. Es dauerte nicht lange, bis ich unsere Lehrerin wegen eines Mannes auf dem Flur traf, da dieser im Flur lag und den zertrampelten Teppich mit seinem eigenen Bett verwechselt hatte, nachdem er offenbar von einer durchzechten Nacht zurückgekehrt war. Schweigend gingen wir zurück auf unsere Zimmer, und ich fand es, gelinde gesagt, beunruhigend, dass dieser Herr nach wenigen Minuten verschwunden war. Aber wie wir alle wissen, heiligt der Zweck die Mittel, und Frau Korman kümmerte sich um den verlorenen armen Mann mit ebenso viel Liebe und Zärtlichkeit, wie sie uns die ganze Woche über behandelt hatte.
Wie durch ein Wunder schafften wir es, uns zu sammeln, unsere Sachen zu packen und pünktlich und unversehrt zum Bahnhof zu gelangen, wobei wir die Zimmer in gutem Zustand zurückließen, obwohl wir den Eigentümern einen Gefallen getan hätten, wenn wir versehentlich das Schloss am Fenster beschädigt und ein paar unnötige Spiegel zerbrochen hätten.
Es gibt nichts Besseres als die polnischen Eisenbahnen. Da unser erster Zug nach Wrocław Verspätung hatte, fuhr der nächste Zug eine Minute früher ab, um das Gleichgewicht zu wahren, sodass wir das Umsteigen nicht schafften. Wir verbrachten die letzten paar Dutzend Minuten vor Urlaubsbeginn damit, uns zu unterhalten und zu verabschieden, während wir zwischen unseren Koffern vor dem Starbucks am Hauptbahnhof standen. Leider hatte ich keine Gelegenheit mehr, weitere erwähnenswerte Momente zu erleben, denn weinend und klagend musste ich meine geliebte Klasse und meine zwei geliebten Lehrer vor der letzten Etappe nach Görlitz verlassen.  
 
PS1:
Wenn in unserer Schule aus heiterem Himmel ein Befehl zum Tragen von Hemden kommt, dann ist das wohl auch ein wenig das Verdienst meines Bügeltalents.
 
PS2:
Und ganz im Ernst: Neben all den oben genannten Erfahrungen und erworbenen Kompetenzen lernten wir viel über die aktuellen deutsch-polnischen Beziehungen, das Spektrum der Institutionen, die sich um diese Beziehungen kümmern, die Möglichkeiten des Studiums der polnischen Sprache in Deutschland und der deutschen Sprache in Polen, die Rolle der Kultur in der Zusammenarbeit zwischen den Ländern und die Besonderheiten der diplomatischen Arbeit. All dies wäre nicht möglich gewesen ohne die tatkräftige Unterstützung durch die Mitarbeiter der
·      Botschaft der Republik Polen in Berlin
·      Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Warschau
·      Polnisches Institut Berlin
·      Goethe-Institut Warschau
·      Institut für Slawistik und Hungarologie der Humboldt-Universität, Berlin
·      Institut für Angewandte Linguistik, Universität Warschau
·      Bundestag
·      Sejm der Republik Polen
 
denen wir unseren aufrichtigen Dank für ihre Zeit aussprechen möchten. Jetzt müssen wir nur noch die Ergebnisse des Projekts in beiden Sprachen richtig präsentieren und die wohlverdienten guten Noten dafür bekommen. Wir werden sehen, was uns - abgesehen von den schwarzen Trikots unserer Jungs - wirklich am meisten in Erinnerung geblieben ist.
 
 
 
Das Projekt Berlin-Warszawa-Express. Partnerschaft zweier moderner, offener Hauptstädte im Zentrum Europas wurde durch das Sächsische Staatsministerium für Kultus und das Deutsch-Polnische Jugendwerk mitfinanziert.

von Róża Wołoskowska, Klasse 10b